Scheinargument: Die Ayah Nisa 65

Allah (swt) sagt:

»Nein (sich vom Taghut richten zu lassen, führt nicht zu einer guten und gerechten Übereinkunft)! O Mein Gesandter, bei deinem Herrn, sie besitzen solange nicht den Iman, bis sie dich (Muhammad und nach deinem Tod die islamische Scharia) zum Richter über alles machen, worin sie uneins sind, und dann gegenüber deinem Urteil, ohne innerlich auch nur das geringste Unbehagen zu verspüren, Zufriedenheit zeigen, und sich deinem Urteil, ohne den geringsten Einwand, völlig unterwerfen.«[1]

Manche haben den Teil dieser Ayah »sie haben keinen Iman« mit »sie haben keinen vollkommenen Iman« ausgelegt und somit das allgemeine Urteil dieser Ayah eingeschränkt.

Antwort:

Ibn Hazm sagt über jene, die diese Ayah auf eine solche Weise auslegen:

»Die Ayah Nisa 65 ist eine eindeutige Ayah. Es ist nicht möglich, sie umzudeuten oder einzuschränken. Es gibt keine Ayah, die die Bedeutung dieser Ayah (Nisa 65) umdeutet oder sie einschränkt, sodass aus ihr die Bedeutung ›sie haben keinen vollkommenen Iman‹ zu verstehen wäre.«[2]

Die oben erwähnte Auslegung ist aus folgenden Gründen inakzeptabel:

1) Aus Sicht der Sprache:

Qadi Abu Zaid ad-Dabusi sagt in seinem Buch at-Takwim, dass in der arabischen Sprache ein Na’t (Eigenschaft) in einem Satz nicht vorkommt, ohne ein Masdar zu sein. Da das Wort »imanan« in der Ayah nicht als Masdar vorkommt, kann man daraus auch nicht die Eigenschaft »kamilan« (vollkommen) ableiten. Auch wenn dem so wäre, ist es nicht erlaubt, die äußerliche Bedeutung der Ayah grundlos außer Acht zu lassen und Worte einzufügen, die nicht darin vorkommen.

2. Aus Sicht der Grundlagen und Regeln des Fiqh:

Allgemeine Beweise können nur mit Ayat, Hadith oder Idschma‘ eingeschränkt werden und nicht durch Qiyas.

Imam Fakhruddin ar-Razi sagte über diese Ayah:

»Das Urteil dieser Ayah ist allgemein und kann nicht durch Qiyas eingeschränkt werden. Auch kann man ihr, außer ihrer äußerlichen, keine andere Bedeutung geben. Diese Ayah zählt zu den wenigen im Qur‘an, deren Urteil so eindeutig ist, nämlich ›sie haben keinen Iman‹«.

3. Aus Sicht des Kontextes dieser Ayah:

Es ist nicht möglich, die Aussage »sie haben keinen Iman« mit »sie haben keinen vollkommenen Iman« auszulegen, da die Ayah dadurch eine Bedeutung erhält, welche nicht durch die vorangehenden Verse unterstützt wird. In den Versen zuvor bestimmt Allah die Grenzen des Iman und des Islam:

»O ihr, die ihr den Iman (an Allah, den Gesandten und den Qur‘an) angenommen habt! Gehorcht Allah und gehorcht auch Seinem Gesandten (befolgt Seine Befehle und haltet Seine Verbote ein). Gehorcht auch euren Anführern und Gelehrten (solange sie euch nicht die Sünde befehlen)[3]

Ibn Kathir sagt in der Auslegung dieser Ayah:

»Diese Ayah zeigt eindeutig, dass derjenige, der sich im Falle einer Uneinigkeit nicht vor dem Qur‘an und der Sunnah richten lässt, nicht an Allah und an den Jüngsten Tag glaubt.«

Die wahre und mit den vorangehenden Versen im Einklang stehende Bedeutung lautet demnach wie folgt:

»Entweder lässt man sich von der Scharia Allahs richten und das ist der wahre Iman und der Islam, oder man lässt sich von anderen Gesetzen richten außerhalb der Scharia und das ist der Kufr an sich.«


[1]  Nisa 65

[2] al-Milal wa’n-Nihal, Band 3, Seite 249

[3] Nisa: 59