At-Taqdis (Freisprechen)

Mit »At-Taqdis« ist gemeint; Allah von Körpern, Substanzen und Akzidenzen freizusprechen. 

Zum Beispiel: Wenn ein einfacher Bürger die Verse und Hadithe im Qur‘an oder in der Sunnah, in denen die Worte »Allahs Yad (يَد Hand)« oder »Allahs Isba‘ (إصْبَع Finger)« vorkommen, oder in den Aussagen des Gesandten Allahs (saws) »Allah säuerte den Schlamm Adams mit Seiner Yad«[1] oder »Das Herz eines Mu‘mins befindet sich zwischen den zwei Isba‘von den Isba‘ des Rahmans«[2] die Allah (swt) zugesprochenen Worte »Yad« und »Isba‘« hört, so muss er wissen, dass das Wort »Yad« zwei Bedeutungen hat:

Die erste Bedeutung ist die eigentliche Bedeutung in der Sprache. D.h. eine Gliedmaße bestehend aus Fleisch (Knochen) und Sehnen. Das Fleisch, die Knochen und die Sehnen sind einzelne Körper mit bestimmten Eigenschaften. Mit Körper meine ich: Ein Ding mit einem bestimmten Volumen, das eine Länge, Breite und Tiefe hat, einen Raum einnimmt und solange es nicht seinen eingenommenen Raum verlässt, ein anderes Ding daran hindert, sich an seinem eingenommenen Raum zu befinden.

Dieser Begriff (Yad) wird auch als »Istiara«[3] in einer anderen Bedeutung benutzt. Mit dem Begriff Hand, der als Istiara benutzt wird, ist keinesfalls ein Körper gemeint. Dies ist genauso, als würde man sagen »Das Land befindet sich in der Hand des Herrschers«. Selbst wenn die Hand des Herrschers abgetrennt ist, ist diese Aussage dennoch verständlich.

Aus diesem Grund muss jeder, ob ein einfacher Bürger oder nicht, eindeutig und mit Gewissheit daran glauben, dass der Gesandte Allahs (saws) mit dem Wort »Hand«, das er über Allah (swt) benutzte, nicht die Bedeutung Gliedmaße, ein aus Blut und Knochen bestehender Körper, meinte. Denn dies ist für Allah (swt) unmöglich und Allah (swt) ist darüber erhaben.

Falls jemand das Wort »Hand« hört, das Allah (swt) und Sein Gesandter über Allah (swt) erwähnen, und es kommt ihm in den Sinn, dass Allah (swt) ein aus Gliedmaßen bestehender Körper ist, dann bedeutet das, dass er einen Götzen anbetet. Denn jeder Körper ist erschaffen, das Erschaffene anzubeten ist jedoch Kufr. Die Anbetung eines Götzen ist Kufr, weil der Götze erschaffen ist. Der Götze ist erschaffen, weil er ein Körper ist.

Wer einen Körper anbetet, ist mit Konsens der Salaf und Khalaf dieser Gemeinschaft ein Kafir. Es macht keinen Unterschied, ob dieser Körper dicht und hart wie die Berge oder weich wie die Luft und das Wasser ist; ob er dunkel wie die Erde, glänzend wie die Sonne, der Mond und die Sterne oder farblos wie der Wind oder die Luft ist. Sei dieser Körper gewaltig groß wie der Thron, der Schemel und der Himmel oder klein wie Partikel oder kleiner, sei er leblos wie Steine oder lebendig wie die Menschen, jeder für sich ist ein Götze. Seine Gutheit, Schönheit, Größe, Kleinheit, Härte oder Beständigkeit ändern nichts an der Tatsache, dass er ein Götze ist. 

Wer Allah (swt), die Yad (Hand) Allahs und den Isba‘ (Finger) Allahs davon freispricht ein Körper zu sein, der hätte Allah (swt) von Gliedmaßen, Fleisch, Sehnen und Eigenschaften, die erfordern, ein später entstandenes Wesen zu sein, freigesprochen und Ihn darüber für erhaben erklärt.

Nachdem man an dies geglaubt hat, muss man daran glauben, dass die im Qur‘an und in der Sunnah vorkommenden Begriffe »Yad (Hand)« und »Isba‘ (Finger)« eine Bedeutung haben, die Allah (swt) unbedingt gebührt, die aber keinesfalls Körper oder eine beim Körper vorkommende Akzidenz bedeutet. Falls er diese Bedeutung nicht kennt und ihre Wirklichkeit nicht versteht, besteht für ihn ohnehin keine Verantwortung, diese zu wissen. Auch ist die Kenntnis über ihre Deutung und Bedeutung keine Pflicht für ihn. Vielmehr ist er dazu verpflichtet – wie es auch später dargelegt wird – die Bedeutung solcher Begriffe (deren Bedeutungen er nicht kennt und versteht) nicht zu recherchieren. 

Ein anderes Beispiel: 

Falls eine mündige Person in den Worten des Gesandten Allahs (saws) »Gewiss, Allah schuf Adam nach seiner Surah (seinem Bilde)«[4] oder »Gewiss, ich sah meinen Herrn in schönster Surah (Bilde)«[5] das Wort »Surah (Bilde)« hört, so muss sie wissen, dass dieses Wort ein Homonym ist, das nicht nur für eines, sondern für verschiedene Dinge benutzt wird. Mitunter ist mit diesem Begriff eine Gestalt gemeint, die aus Körpern besteht und in einer bestimmten Ordnung gegliedert ist. Beispielsweise meint man mit »Die Surah des Menschen« das Gesicht eines Menschen, das mit Nase, Augen, Mund und Wangen in einer bestimmten Ordnung gegliedert ist. All diese aufgezählten Dinge sind Körper und jedes Einzelne besteht aus Fleisch und Knochen.

Und manchmal ist mit diesem Begriff weder ein Körper noch eine bei einem Körper vorkommende Gestalt noch der Aufbau eines Körpers gemeint. Dies ist so, wie wenn du sagst: »Jene Person kannte die Surah dieses Themas und das, was dieser Surah gleicht.« (Mit dem Wort »Surah« meint man in diesem Satz nicht einen Körper oder etwas, das aus Körpern besteht, sondern eine Bedeutung in metaphorischem Sinne, wie die Struktur eines Themas, sein Aufbau oder seine Gestalt).

Alle Muslime müssen fest daran glauben, dass mit dem Allah (swt) zugesprochenen Begriff »Surah« nicht die von uns genannte erste Bedeutung gemeint ist, d.h. es ist keine Gestalt, die in Nase, Mund und Wangen gegliedert ist, die jeweils aus Fleisch und Knochen bestehen. Denn all diese sind Körper und bei Körpern vorkommende Gestalten. Allah (swt), Der alle Körper und alles, was bei Körpern eine Gestalt bildet, erschaffen hat, ist darüber erhaben, diesen Dingen und ihren Eigenschaften zu ähneln. Ist eine mündige Person sich dieser Tatsache eindeutig bewusst, so ist sie ein Mu’min. 

Kommt nun einer mündigen Person die Frage in den Sinn »Da diese Bedeutung (d.h. ein Körper oder etwas, das mit dem Körper zu tun hat) nicht gemeint ist, welche Bedeutung ist dann beabsichtigt worden?«, so muss sie wissen, dass sie nicht für die Kenntnis der Bedeutung dieses Begriffes verantwortlich ist, vielmehr ist ihr untersagt, sich diesbezüglich in Recherchen zu vertiefen. Denn das Verständnis der Bedeutung, welche Allah (swt) mit diesem Wort meint, würde ihre Kraft übersteigen. Sie muss jedoch fest daran glauben, dass mit diesem Wort, das Allah (swt) zugesprochen wird, eine Bedeutung gemeint ist, die der Erhaben-heit und Größe Allahs gebührt, und dass diese Bedeutung kein Körper oder eine Eigenschaft eines Körpers ist. 

Ein anderes Beispiel:

Falls ein einfacher Bürger in der Aussage des Gesandten Allahs (saws) »Allah steigt jede Nacht in den weltlichen Himmel herab«[6] das Wort »herabsteigen« hört, so muss er folgendes wissen: 

Der Begriff »herabsteigen (nuzul)« ist ein Homonym (ein Wort, das in verschiedenen Bedeutungen benutzt werden kann). Demnach wird dieser Begriff manchmal in einer Bedeutung benutzt, die drei Körper benötigt. Diese sind; eine Stelle oberhalb, an der ein Körper einen Platz einnimmt; eine Stelle unterhalb, an der ein Körper einen Platz einnimmt und ein Körper, der sich zwischen diesen beiden Körpern von oben nach unten oder von unten nach oben bewegt. Wenn der sich bewegende Körper sich vom unteren Körper zum oberen Körper bewegt, nennt man dies »hochsteigen« oder »aufsteigen«. Wenn er sich vom oberen Körper zum unteren Körper bewegt, nennt man dies »herabsteigen«, »fallen« oder »herunterkommen«.

Manchmal wird der Begriff »Nuzul« auch in einer anderen Bedeutung benutzt. Mit dieser Bedeutung ist weder der Übergang eines Körpers von einer Stelle zur anderen noch eine Bewegung gemeint. So wie in den folgenden Worten Allahs: 

»Er hat für euch von den An’am-Tieren (männliche und weibliche Kamele, Rinder, Schafe und Ziegen) acht Partner herabgesandt (erschaffen)[7]

In dieser Ayah kommt das Wort »Er sandte herab (وأنزل)« vor. Damit ist jedoch keinesfalls eine Bewegung von oben nach unten gemeint. Denn niemand hat gesehen, dass An’am-Tiere vom Himmel herabgestiegen sind. Die An’am-Tiere (Arten von Kamelen, Kühen, Schafen und Ziegen) werden im Mutterleib erschaffen. Mit dem Wort »herabgesandt« wurde natürlich eine Bedeutung beabsichtigt, aber keinesfalls eine Bewegung vom Himmel zur Erde.

Genauso wie in den Worten von Imam Schafii (ra):

»Ich trat in Ägypten ein und sie haben meine Worte nicht verstanden. Daraufhin bin ich etwas heruntergestiegen, danach wieder heruntergestiegen und danach wieder heruntergestiegen, bis sie es verstanden haben.«

Mit diesen Worten meinte Imam Schafii (ra) nicht etwa, dass er körperlich von oben nach unten heruntergestiegen ist, er hat seine Worte vereinfacht, damit sie sie verstehen.

Demnach muss ein Mu’min an folgendes eindeutig glauben: 

Mit dem Wort »herabsteigen«, das über Allah (swt) erwähnt wird, ist keinesfalls die oben erwähnte erste Bedeutung gemeint. Es bedeutet nicht, dass sich eine Person und ein Leib von oben nach unten bewegen. Denn Personen und Leiber sind Körper. Der erhabene Herr ist hingegen keinesfalls ein Körper.

Falls einer Person, die nicht an die erste Bedeutung des Wortes »herabsteigen« denkt (d.h. die Bewegung eines Körpers von oben nach unten), die Frage in den Sinn kommt, was mit diesem Begriff gemeint sein könnte, so sagt man ihr folgendes: 

Du bist nicht einmal dazu fähig zu verstehen, wie ein Kamel vom Himmel herabsteigt, wie es in der Ayah erwähnt wird. Selbstverständlich bist du noch unfähiger, die Bedeutung des Wortes »herabsteigen« zu verstehen, das über Allah (swt) benutzt wird. Recherchiere demnach nicht die Bedeutung dieses Wortes, denke nicht darüber nach und frage nicht danach! Beschäftige dich nur mit deinen Gebeten oder mit deinem Beruf, den du beherrschst, und rede nicht über dieses Thema, worüber du keine Kenntnis besitzt! Auch wenn du nicht verstehst, was das »Herabsteigen Allahs« tatsächlich ist und was es bedeutet, so musst du dennoch eindeutig wissen, dass das Wort »herabsteigen (nuzul)«, das über Allah (swt) benutzt wird, eine in der arabischen Sprache existierende Bedeutung trägt und dass diese der Erhabenheit und der Größe Allahs gebührt.

Ein anderes Beispiel: 

Falls ein einfacher Bürger in den Worten Allahs »Er ist über Seinen Dienern al-Qahir.«[8] oder »Sie (die Engel) fürchten sich vor ihrem Herrn (aufgrund Seiner Macht), Der (vom Rang her) über ihnen ist.«[9] den Begriff »über (Fawq فَوْقَ)« hört, muss er wissen, dass dieser Begriff in einer von den folgenden zwei Bedeutungen gebraucht wird: 

Bei der ersten Bedeutung handelt es sich um ein Positionsverhältnis zweier Körper zueinander. Demnach befindet sich der eine Körper oben und der andere unten; d.h. der obere Körper beginnt am obersten Punkt des unteren Körpers. In diesem Fall sagt man über den oberen Körper »er befindet sich über dem unteren Körper«. 

Bei der zweiten Bedeutung handelt es sich nicht um Positionsverhältnisse zweier Körper zueinander, sondern um Wert und Rang. Beispielsweise sagt man »Der Kalif steht über dem Sultan und der Sultan steht über dem Wesir« oder »ein Wissen steht über einem anderen Wissen«. Der Begriff »über« bedeutet in diesem Zusammenhang kein Positionsverhältnis zu einem Körper, sondern Rang und Wert.

Die erste Bedeutung des Wortes »Fawq« erfordert ein Verhältnis zweier Körper zueinander. Die zweite Bedeutung erfordert dies jedoch nicht. Demzufolge muss ein Mu‘min, der in diesen beiden Versen den Begriff »Fawq« liest, fest daran glauben, dass damit nicht die Bedeutung gemeint ist, bei der sich ein Körper räumlich über einem anderen Körper befindet. Denn diese Bedeutung ist über Allah (swt) unmöglich. Nur bei Körpern oder Eigenschaften von Körpern kann davon die Rede sein. Nachdem dies einem Mu’min klar ist, muss er diese für Allah (swt) unmögliche Sachlage ablehnen. Ob er danach weiß oder nicht, warum dieser Begriff für Allah (swt) benutzt wird und was damit gemeint ist, bringt ihm keinen Schaden. 

Demnach; wenn er im Qur‘an und in der Sunnah einen Begriff über Allah (swt) hört, dessen lexikalische Bedeutung einen Vergleich mit den Geschöpfen in den Sinn bringt, muss er Allah (swt) von der Bedeutung, die Ihm nicht gebührt, freisprechen und Ihn darüber für erhaben erklären. Die Regel in diesen von uns erwähnten Beispielen gilt auch für andere Beispiele wie diese, die wir nicht erwähnt haben. 

Imam Ghazali – Ildschamu’l Awam


[1]Tabari, Bayhaqi in dem Buch Al-Asma‘uwa’s Sifat Hadith Nr.717. Dieser Ha-dith wurde von Salman al-Farisi als Mauquf überliefert. Der Sanad ist sahih, aber der Matn ist munkar. Mit solchen Überlieferungen wird die islamische ‘Aqidah nicht festgelegt.

[2]Tirmidhi, Kitabu‘lQadar: Tirmidhi sagte zu diesem Hadith hasan. Band 4, S. 448, Hadith-Nr. 2140. Ibn Madscha, Kitabu‘d Dua, Band 2, S. 1260, Hadith-Nr. 3834.

[3]Istiara ist die Kunst, aus anderen Bereichen ausgeborgte Begriffe außerhalb ihrer eigentlichen Bedeutung im übertragenen Sinne zu benutzen, um eine bestimmte Bedeutung auszudrücken. Diese beabsichtigte Bedeutung wird durch Hinweise verstanden.

[4]Buchari, Muslim

[5]Sunan Tirmidhi, 3157, 3159; Sunan Darami, 2204; Musnad Abi Ya’la, 3/92; Musnad Ahmad, 3484, 16672, 22162; Tabarani, Mu’dschamu’l Kabir, 931, 16640; Ibn Kani’, Mu’dschamu’l Sahaba, 1022; Muhammad Ibn Nasr al-Maruzi, Mukhtasar Qiyamu’l Layl, 26; Adschurri, asch-Scharia, 1025, 1026, 1027; Tabarani, Dua, 1316, 1318, 1320.

[6]Buchari, 1145; Muslim, 1261

[7]Sure az-Zumar: 6

[8]Sure al-An’am: 18

[9]Sure an-Nahl: 50